„Damit es so etwas nie wieder gibt“

Oliver Rilling* ist 20 und engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus

von Ulrike Schnellbach

Oliver Rilling inkognito
Oliver Rilling inkognito – Foto: privat

Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit breiten sich immer mehr in der Mitte der Gesellschaft aus. Das belegte jüngst wieder eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Oliver Rilling* findet sich damit nicht ab. Schon mit 15 Jahren begann der Junge aus der Nähe von Tübingen, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Heute ist er 20 und hält Vorträge in ganz Baden-Württemberg. Mit seinen beeindruckenden Detailkenntnissen der rechten Szene und seiner direkten Art erreicht er vor allem auch junge Leute.

Wie kamst du dazu, dich gegen Rechtsextremismus zu engagieren?

Oliver Rilling: Das begann mit einem Erlebnis bei uns auf dem Dorf, da haben Naziskins auf einem Dorffest zwei Bekannte von mir angemacht und zusammengeschlagen, weil sie lange Haare hatten. Da dachte ich: Das kann doch nicht sein, dass die hier so herumlaufen und Leute verprügeln. Daraufhin habe ich im Internet nach Gleichgesinnten gesucht, mit denen ich dagegen etwas machen kann. Wir haben ein Bündnis gegen Rechts gegründet und angefangen uns zu engagieren.

Was genau macht ihr?

Oliver Rilling: Am Anfang haben wir jährlich eine Demonstration organisiert und dazu eine Party mit Rock gegen Rechts. Außerdem sind wir selber immer wieder auf Demonstrationen gegen Rechts gefahren und zu Nazi-Aufmärschen, um dagegen zu protestieren. Dann habe ich angefangen, mich auch in das Thema einzulesen und Aufklärungsarbeit zu betreiben, weil viele Leute gar nichts darüber wissen, was hier los ist mit den Nazis. Seitdem reise ich durchs Land und halte Vorträge – was relativ zeitaufwändig ist.

Warum ist dir das so wichtig, dass du soviel Zeit da reinhängst?

Oliver Rilling: Weil ich die Leute, die von rechter Gewalt betroffen sind, nicht alleine lassen will. Ich selbst bin vordergründig erstmal nicht von rechter Gewalt betroffen. Trotzdem betrifft mich das auch persönlich, weil ich mich in einer Atmosphäre der Offenheit und des gegenseitigen Respekts, wo rechte Meinungen keinen Platz haben, selbst auch wohler fühle. Nazis stehen dem krass entgegen.

Was erreichst du mit deinem Engagement?

Oliver Rilling: Ein Erfolg lässt sich da natürlich schwer messen. Aber wenn ich mit denjenigen spreche, die meine Vorträge gehört haben, dann merke ich schon, dass es mir immer wieder gelingt, Leute zum Nachdenken zu bringen. Viele sind auch hinterher sehr motiviert, selbst etwas zu unternehmen. Ob es mir mit meinem Engagement gelingt, Nazis oder menschenverachtendes Gedankengut zurückzudrängen, kann ich nicht sagen. Ich versuche es, und wenn es viele Menschen versuchen, dann kommt dabei auch etwas rum.

Stößt du auch auf negative Reaktionen?

Oliver Rilling: Klar, verbale Anfeindungen gibt es immer wieder. Wenn man in der Fußgängerzone Flyer verteilt und mit Leuten diskutiert, dann sind da immer auch welche dabei, die sagen: Ihr seid doch Spinner, hier gibt’s doch gar keine Nazis. Andere packen ihr rassistisches Weltbild aus und argumentieren rassistisch. Aber viele Leute sagen auch: Hey, ich finde das klasse, dass du das machst.

Wie reagieren deine Eltern und deine Freunde?

Oliver Rilling: Meine Eltern machen sich natürlich auch Sorgen. Es ist ja nicht ungefährlich, wenn ich zum Beispiel auf eine Gegendemo gegen Nazis fahre. Aber grundsätzlich finden sie es gut, dass es mir nicht egal ist, was um mich herum passiert. Meine Freunde haben ganz unterschiedlich reagiert: Manche verstehen nicht, warum man so etwas machen sollte. Andere haben angefangen, sich mit mir zu engagieren. Und mit der Zeit habe ich natürlich mit den Gleichgesinnten mehr zu tun als mit denen, die diese Notwendigkeit nicht sehen.

Du trittst unter Pseudonym auf. Bist du schon mal bedroht worden?

Oliver Rilling: Ich habe mal Droh-E-mails bekommen. Darin stand: Ich weiß, wie du heißt und wo du wohnst, und wenn du nicht aufhörst, dann gebe ich diese Informationen an organisierte Nazis weiter. Das hat mir zuerst natürlich Angst gemacht, aber dann habe ich gemerkt, dass das eine ziemlich leere Drohung war. Mir ist nie wirklich etwas passiert, da hatte ich bislang viel Glück. Ich bekomme aber durchaus immer wieder mit von Freunden, die Pech haben und zum Beispiel auf der Fahrt zu einer Gegendemonstration auf eine große Gruppe Nazis treffen. Ein guter Freund von mir ist dabei schon schlimm verprügelt worden, andere mussten sich in einem Zugabteil verbarrikadieren.

Kennst du Neonazis persönlich?

Oliver Rilling: Ich habe schon oft welchen von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden auf Dorffesten und dergleichen. Ich halte auch nichts davon, mit ideologisch gefestigten Nazis zu diskutieren. Die stecken so in ihrem Weltbild drin, dass rationale Argumente gar nicht an sie herankommen. Ihr Weltbild ist eine hoch emotionale Angelegenheit für sie. Da bin ich dann „von der jüdischen Weltverschwörung verblendet“ oder ähnlicher Unsinn. Außerdem will ich Nazis keine Plattform für ihr menschenverachtendes Gedankengut bieten. Deshalb liegt der Fokus meiner Arbeit nicht darauf, auf Nazis zuzugehen und sie aus der Szene rauszuholen. Ich versuche eher zu verhindern, dass andere da reinrutschen. Deswegen diskutiere ich viel mit Jugendlichen, auch solchen, die schon ein diffus rechtes Weltbild haben, aber nicht mit organisierten Nazis.

Wie reagiert man am besten, wenn man mit rechtsextremen Argumenten konfrontiert wird?

Oliver Rilling: Ganz wichtig ist, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen. Wenn man nachts auf der Straße auf einen rechten Mob trifft, der rassistische Parolen brüllt, fängt man besser nicht an zu diskutieren. Aber wenn man beispielsweise in der Bahn rechte Argumente hört, dann ist es wichtig dagegenzuhalten. Wenn solche Parolen im Raum stehen gelassen werden, dann empfindet das erstens der Mensch, der sie äußert, als Zustimmung. Zweitens erzeugt es bei den Umstehenden das Gefühl, dass menschenverachtende, rassistische Meinungen eine diskutable Problemlösung sind. Wichtig ist auch, dass die Freunde solcher Leute hören, dass deren Parolen Quatsch sind, weil so Druck entstehen kann. Gut ist, wenn die Clique sagt: Hey, wir finden dich nett, aber hör doch auf mit diesem rassistischen Scheiß!

Was ist deiner Ansicht nach die beste Strategie gegen die Rechten?

Oliver Rilling: Die Vergangenheit zeigt, dass möglichst vielfältige Aktionsformen nebeneinander erfolgreich sind. Ganz wichtig ist, dass in der Gesellschaft eine Offenheit herrscht, dass sie sich klar gegen rechte Parolen stellt, dass in Jugendzentren und in der Schule darüber diskutiert wird, dass Workshops gemacht werden – dann haben Rechte keinen Platz. Da, wo Rechte stark sind, ist meistens die Zivilgesellschaft schwach. Bürgermeister von Orten etwa, wo es Neonazis gibt, blocken in der Regel ab und sagen, es gebe da gar kein Problem. Die Nazis verstehen solches Schweigen als Akzeptanz.

Du erreichst mit deinen Vorträgen sicherlich diejenigen, die tendenziell auf deiner Seite sind. Kommst du auch an die anderen ran, die anfällig sind für rechte Argumente?

Oliver Rilling: Ich mache ja auch viel mit Schulklassen, und da erreiche ich auch Jugendliche mit einem diffus rechten Weltbild, die im Vorfeld sagen: Was ist denn das für ein Quatsch? Mit denen diskutiere ich ausführlich und zeige ihnen, warum sie nicht Recht haben. Ich habe schon öfter das Feedback bekommen, dass sie zwar vorher keinen Bock auf den Vortrag hatten, aber jetzt hätten sie doch einen Denkanstoß bekommen.

Du recherchierst intensiv in der Neonazi-Szene – ist das nicht ein widerliches Geschäft, ständig Hetzschriften gegen Ausländer und dergleichen zu lesen?

Oliver Rilling: Natürlich nervt das, immer diese rassistischen Sachen zu lesen. Aber es ist auch super spannend, mich damit auseinanderzusetzen und meine eigenen Argumente abzuklopfen. Ich finde es auch wichtig, nicht nur über Nazis zu lesen, sondern auch zu erfahren, wie sich diese Leute selber sehen. Ich versuche herauszulesen, wie es sich anfühlt, so ein Weltbild zu haben, das ist nämlich genauso wichtig wie die Pseudoargumente zu kennen. Aber ich empfinde auch Trauer und Wut, beispielsweise wenn ich lese, wie sie Opfer von rechter Gewalt verhöhnen, sich darüber lustig machen, dass jemand krankenhausreif geschlagen wurde. Da denke ich einfach, das darf doch nicht wahr sein!

Kannst du dir vorstellen, dass du irgendwann sagst: Das habe ich jetzt oft genug gelesen, jetzt höre ich auf mit dem Thema?

Oliver Rilling: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Dafür gibt es zu viele schöne Erlebnisse und Erfolge, etwa wenn ich mit Schülerinnen und Schülern diskutiere oder wenn eine Blockade klappt. Oder auf einer Befreiungsfeier in einem ehemaligen KZ: Wenn ich da sehe, wie die ehemaligen Gefangenen durchs Tor schreiten, wie sie auch 65 Jahre danach noch weinen vor Glück, dass sie das überlebt haben und dass das vorbei ist – das ist so bewegend. In solchen Momenten weiß ich, warum ich das tue: damit es so etwas nie wieder gibt.  

 

Oliver Rilling* ist 20 Jahre alt und lebt in Tübingen. Er hat 2010 Abitur gemacht und leistet derzeit seinen Zivildienst in der Jugendarbeit. Seit fünf Jahren engagiert er sich gegen Neonazis, indem er in der Szene recherchiert und Vorträge hält, außerdem organisiert er Konzerte gegen Rechts.
* Der Name ist ein Pseudonym.

Erschienen in Provo 2 / 2011

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

PDF-Version (Drücken Sie die rechte Maustaste und klicken Sie auf "Ziel speichern unter")