Bessert euch, Marsch!

Junge Rechtsextreme sollen bei einem Seminar lernen, wie die Demokratie funktioniert – und werden dabei ganz schön gebauchpinselt

Von Ulrike Schnellbach

Am Ende ein dickes Lob für die Seminarteilnehmer: „Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis“, sagt einer der Referenten, ein anderer: „Danke für eure Mitarbeit und eure offene Diskussionskultur.“ Und der Vertreter des Jugendamtes äußert sich optimistisch: „Ich gebe euch noch nicht verloren. Ihr könnt noch gute Bürger werden, wenn ihr euren kritischen Geist bewahrt. Und wenn ihr euch im Rahmen der Demokratie bewegt.“

Dass sich der „kritische Geist“, der sich an diesem Tag offenbart hat, immer im Rahmen der Demokratie bewegt hätte, lässt sich allerdings nicht behaupten. Da war von der arischen und der „jüdischen Rasse“ die Rede, von „deutschem Blut“, das sich nicht vermischen dürfe. Von „Siegerjustiz“ nach dem Zweiten Weltkrieg und einer den Deutschen aufgezwungenen Staatsordnung.

Die Hälfte der NSDAP-Mitglieder, hat einer behauptet, sei von den Besatzungsmächten hingerichtet worden, die andere Hälfte ins Gefängnis gesteckt. Ganz sicher war man sich, dass Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß kurz vor seiner Haftentlassung 1987 erwürgt wurde. „Das sieht man auf Fotos im Internet.“

Legenden, wie sie die NPD verbreitet. An diesem Tag in der Würzburger Akademie Frankenwarte der Friedrich-Ebert-Stiftung kommen sie in gepflegtem Rahmen zur Sprache. Ein Seminar über Demokratie – mit Teilnehmern, die nicht freiwillig dabei sind. Die jungen Männer sind verurteilt worden: Hitlergrüße, Hakenkreuzschmierereien, Körperverletzung. Nun arbeiten sie Sozialstunden ab und besuchen diese Veranstaltung, für die sie einen Tag Urlaub nehmen und 105 Euro bezahlen müssen.

Als Strafe für Körperverletzung: ein Demokratietraining

Eine Maßnahme, die sich Bernhard Metz vom Jugendamt des Main-Spessart-Kreises ausgedacht hat. „Wir wollen den Jugendlichen mit Informationen über unseren Staat helfen, sich anders zu orientieren“, sagt er. „Damit sie nicht alle ihre Informationen aus der rechten Ecke bekommen.“

Die acht Männer im Alter von 18 bis 21 Jahren sitzen pünktlich in der Runde. Sechs Jeans, eine schwarze Cordhose, eine Militär-Tarnhose. Schwarze Kapuzenpullis, Sportschuhe. Keine Springerstiefel, keine Glatzen. Sie stellen sich brav vor, Name, Alter, Beruf: Zimmerer, Auszubildender, Metzger, Wehrdienstleistender, nur einer ist arbeitslos.

Was sie sich vom Tag erwarten: Ein gutes Mittagessen („ein Buffet muss es schon sein für 105 Euro!“), frühen Feierabend, und dass sie „das Seminar bestehen“ und danach keine Probleme mit der Polizei bekommen. „Ich freu’ mich natürlich, dass ich wegen so was extra herfahren durfte“, sagt einer, der jetzt in Nordrhein-Westfalen lebt, sarkastisch. Ein anderer ist sicher, dass ihm „das nichts bringt“, und ein Dritter „weiß nicht mehr genau, wegen was ich hier bin.“ Vor zwei Jahren haben sie sich beim Jugendhaus geprügelt, ein Mädchen verletzt, einen „Linken“ niedergeschlagen. Erst jetzt wurden die Urteile rechtskräftig.

Florian Evenbye von der Ebert-Stiftung begrüßt die Gäste freundlich: „Wir wollen Ihnen nicht vorschreiben, was Sie zu denken haben. Wir wollen mit Ihnen in den Dialog treten.“ Fünf Vertreter der demokratischen Gesellschaft stehen dafür bereit: neben dem Politologen Evenbye zwei Gastreferenten sowie Bernhard Metz vom Jugendamt mit einer Kollegin.

Warum ein Schwarzer „niemals Deutscher werden“ kann

Zunächst eine Aufgabe: In Gruppenarbeit erarbeiten die Rechtsextremen eine demokratische Verfassung für den fiktiven afrikanischen Staat Bogotsingo, der Kolonialherrschaft und 30 Jahre Militärdiktatur hinter sich hat. Der Mann mit der Militärhose und Stoppelhaaren stellt sein Modell vor, sein Grinsen wirkt eher unsicher als überheblich. Er hat die Bewohner Bogotsingos strikt nach der Hautfarbe getrennt. „Rassengesetze“ sollen gewährleisten, „dass die Elite weiß bleibt und das Volk schwarz“.

Es wird diskutiert, wie das funktionieren soll. Die Frage nach dem Warum kommt viel zu spät. Die Antwort ist so schlicht wie dumm: „Damit es keine Konflikte gibt.“ Die Schwarzen, sagt der Stoppelhaarige, sollten nicht in die Versuchung kommen, in die Elite zu streben. „Die alten Herren sind die neuen, dabei soll’s bleiben.“

Bezogen auf die realen Verhältnisse in Deutschland („BRD, nicht Deutschland“, stöhnt der Stoppelhaarige) hört sich das so an: Ein Afrikaner könne niemals Deutscher werden, auch nicht mit einem deutschen Pass. „Da braucht er nur in den Spiegel zu schauen, dann sieht er, dass er kein Deutscher ist.“

Ob sich die Deutschen nicht ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie ausländische Talente ausschließen, wollen die Referenten wissen. „Wenn so ein Dorfhäuptling aus Schwarzafrika kommt“, antwortet einer mit finsterem Blick unter dem schwarzen Mittelscheitel spöttisch, „dann gehört der bei uns nicht unbedingt zur Elite.“ Und dann erklärt er noch, warum sie wollen, dass die „Rassen“ rein bleiben: „Stellen Sie sich mal eine bunte Malerpalette vor und mischen alles. Heraus kommt ein dunkler, dreckiger, brauner Brei.“  

Globalisierung: ein Reizwort für Neonazis wie für Linke

Mit solchen Ansichten kämen sie „50 Jahre zu spät“, kontert Florian Evenbye. 40 Prozent der Kinder in Deutschland kämen heute in gemischten Ehen zur Welt. „Und darauf sind Sie stolz?“, ereifert sich einer, „dass sich die Deutschen nicht weiter entwickeln? Dass wir uns unser eigenes Grab schaufeln? Finden Sie das etwa gut?“ Und der mit dem finsteren Blick sagt scharf: „Die Gesellschaft ist doch Dreck, die muss doch weg.“

Nicht alle äußern sich so extrem. Die Verfassung von Bogotsingo solle, so die Vorstellung einer anderen Gruppe, „freie, gleiche und unmittelbare Wahlen“ garantieren. „Und alles was dazu gehört, wie bei uns eben“: Religionsfreiheit, „geschlechtliche Gleichstellung“ und „demokratische Grundwerte“. Klingt irgendwie auswendig gelernt.

Festschreiben wollen sie aber auch „die Förderung der Kultur und des nationalen Selbstbewusstseins“. Was sie damit meinen? „Dass da weniger Globalisierung ist und nicht unbedingt ein McDonald’s gebaut wird.“ Globalisierung, das ist ein Reizwort für die Neonazis, genauso wie für viele Linke.   

Später geht es um die deutsche Verfassung. „Sagen Sie bitte Grundgesetz“, moniert der Stoppelhaarige, „nicht Verfassung, das macht mich krank.“ Er spricht dem Grundgesetz die Legitimität ab, da es „uns von den Siegern geschenkt“ worden sei. Wieder dieses Grinsen. Als Verfassungsorgane, die die Politik bestimmen, nennen die Männer neben Bundestag, Kanzler und Bundespräsident auch „die Pfeifen in Berlin“ – und den Zentralrat der Juden.

„Stolz auf die Gaskammern im Dritten Reich“

Die Referenten lassen das durchgehen: „Meinetwegen auch der Zentralrat“, sagt Martin Harth. „Es ist gut, dass sie offen sprechen“, erklärt der Historiker in der Mittagspause, dafür müssten sie sich ernst genommen fühlen. Seine Hoffnung sei, dass sie sich mit der eigenen Argumentation auseinandersetzen und dabei merken, dass etwas nicht stimmt. „Eine andere Chance haben wir ja nicht.“ Allerdings hätten einige der Teilnehmer ein festes neonazistisches Weltbild, sagt Florian Evenbye. Dass man die noch erreichen kann, da macht er sich keine Illusionen.

Am Nachmittag geht es noch um den „Nationalstolz“. Ein attraktiver Typ mit blonden Strähnen im dunklen, glänzenden Haar sagt: „Ich denke national, deshalb werde ich verfolgt. Weil ich stolz bin auf das deutsche Soldatentum und auf manches, was im Dritten Reich war“. „Auf alles!“, korrigiert ihn ein Dicker. – Auch auf die Gaskammern? – „Auf die Gaskammern!“, bestätigt er trotzig, und dann: „Gaskammern mit Holztüren – hören Sie doch auf!“

Das spielt auf die in rechten Kreisen verbreitete These an, die Kammern wären nicht dicht gewesen. Ein gezischtes „Sei still!“ stoppt den Mann, der gerade so richtig in Fahrt kommt. Allzu offen die Judenvernichtung zu leugnen, das trauen sie sich dann doch nicht.

„Ich verstehe nicht, was solche Kurse bringen sollen“, sagt der mit dem Dauergrinsen in der Abschlussrunde. „Wir haben unsere Meinung, und das bleibt auch so.“ Ein anderer findet, dass „die Diskussionen ganz amüsant waren.“ Der mit den blonden Strähnen gibt zu Protokoll: „Man geht auf uns nicht ein. Wir werden von oben herab behandelt, das finde ich einfach scheiße.“ Man konnte durchaus einen anderen Eindruck gewinnen: So zuvorkommend wie an diesem Tag auf der Frankenwarte dürften die Herren selten behandelt werden.

Erschienen u. a. in der Badischen Zeitung, 14.4.2007

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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