Die Hoffnungen schwinden

Die „Altfallregelung“ sollte geduldeten Flüchtlingen ein dauerhaftes Bleiberecht sichern. Doch sie ist weit weniger großzügig als gedacht – und läuft zum Jahresende aus

Philip Bona und Peter Schneider-Berg vom Freiburger Projektverbund Bleiberecht Sie versuchen, Flüchtlingen zu Jobs zu verhelfen und damit zu einem dauerhaften Aufenthaltsrecht: Philip Bona und Peter Schneider-Berg vom Freiburger Projektverbund Bleiberecht

Von Ulrike Schnellbach

Mirsad Miftaraj könnte es geschafft haben. Der 31-jährige Roma aus dem Kosovo, der seit 1991 in Freiburg lebt, hat rechtzeitig einen Job gefunden. Wenn er seine Arbeit bei einem Autozulieferer trotz der Wirtschaftskrise bis Ende des Jahres behält, hat er gute Chancen, eine richtige Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Jahrelang hatte Miftaraj wie Tausende Flüchtlinge in Deutschland mit einer Duldung gelebt, die alle sechs Monate verlängert wurde und keinerlei Perspektive bot: Eine Duldung ist kein Aufenthaltstitel und bedeutet lediglich, dass die Abschiebung bis auf weiteres ausgesetzt wird. Geduldete dürfen in der Regel nicht arbeiten.

Dann, endlich, gehörte Mirsad Miftaraj zu den Glücklichen, die von der so genannten Altfallregelung profitierten: Nach jahrelangem Hin und Her verständigten sich Bund und Länder im August 2007 darauf, langjährig Geduldeten ein Bleiberecht auf Probe zu erteilen, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Von den rund 200.000 Menschen, die damals in Deutschland geduldet waren, haben etwa 60.000 ein vorläufiges Bleiberecht erhalten, die Hälfte allerdings nur auf Probe bis Ende 2009.

Viele sind von vorneherein durchs Raster der Altfallregelung gefallen, weil sie eines der strengen Kriterien nicht erfüllten: Sei es, dass sie noch nicht lange genug in Deutschland waren  – Alleinstehende und Ehepaare mussten zum Stichtag im Juli 2007 mindestens seit acht Jahren hier leben, Familien mit Kindern seit sechs Jahren. Sei es, dass sie zu wenig Deutsch sprachen. Sei es, dass sie krank, traumatisiert oder einfach zu alt waren und dadurch erwerbsunfähig. Oder sei es – eine besonders perfide Bedingung –, dass sie nicht an ihrer eigenen Abschiebung mitgewirkt hatten, etwa an der Passbeschaffung.

„Die Altfallregelung droht zu scheitern“

Doch auch viele von denen, die die Hürden genommen haben, leben jetzt wieder in Angst. Der Stichtag zur Arbeitsaufnahme ist am 1. April 2009 verstrichen. Und selbst wer seitdem einen Job hat, kann sich in Zeiten der Wirtschaftskrise alles andere als sicher sein, ihn auch zu behalten. Fraglich ist bei vielen außerdem, ob ihr Einkommen ausreicht. Die Behörden schreiben in der Regel vor, dass der Lebensunterhalt ohne öffentliche Zuschüsse gesichert sein muss. Mancherorts setzen sie nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom August 2008 sogar einen Lohn voraus, der deutlich über dem Hartz IV-Satz liegt – die Logik dahinter verstehe, wer will. Die meisten Flüchtlinge finden allenfalls Jobs im Niedriglohnsektor.  

„Die Altfallregelung droht zu scheitern“, haben Grüne und Linke im Bundestag jüngst Alarm geschlagen. Auch SPD-Politiker fordern Nachbesserungen. „Wir brauchen eine Fristverlängerung um ein bis zwei Jahre“, sagt der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Veit. Doch bei der Union scheint es keine Neigung zu geben, die Bedingungen zu verbessern. Es gehe bei der Altfallregelung darum, dass die Menschen nicht auf Dauer in sozialen Sicherungssystemen blieben, sondern selbst ihren Lebensunterhalt verdienen, sagte der Unions-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach der Frankfurter Rundschau. Man wolle keine falschen Anreize geben. Die Vorschläge der anderen Parteien werde die CDU ablehnen.

Da zeigt sich für Peter Schneider-Berg vom Freiburger Projektverbund Bleiberecht, welchem Geist die Altfallregelung entsprungen ist: „Es geht darum, diejenigen hier zu behalten, die arbeiten und Steuern zahlen, und nicht um eine humanitäre Regelung.“ Besonders für Familien mit kleinen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen sei es schwierig, die Betreuung zu organisieren, gleichzeitig ihr Deutsch zu verbessern und den Lebensunterhalt zu verdienen. Außerdem bleibe angesichts der knappen Fristen zu wenig Zeit für dringend notwendige Qualifizierungen. Kaum Chancen gibt es nach Schneider-Bergs Erfahrung für Menschen jenseits der 60.

In Deutschland leben immer noch 100.000 Geduldete

Der Freiburger Projektverbund aus Caritas, Handwerkskammer und Volkshochschule wird durch ein Projekt des Europäischen Sozialfonds und des Bundesarbeitsministeriums finanziert. Er ist einer von 44 Verbünden in Deutschland und betreut derzeit 180 Flüchtlinge, überwiegend Roma aus dem Kosovo. Die Altfallregelung habe bei ihnen einen Ruck bewirkt, erzählt Schneider-Berg. Mit einem Mal seien Deutschkurse und Qualifizierungen sehr gefragt gewesen. Allein im ersten Halbjahr 2009 ist es Schneider-Berg und seinen Kollegen gelungen, 60 Menschen in Deutschkurse zu vermitteln, 28 zu qualifizieren und 34 in Arbeit oder Ausbildung zu bringen. Doch seit am 1. April der Stichtag für die Arbeitsaufnahme verstrichen ist, lasse die Motivation deutlich nach: „Es schwinden einfach die Hoffnungen.“

Jetzt haben Caritas und Diakonie eine bundesweite Kampagne gestartet. Sie fordern, die Probezeit für das Bleiberecht zu verlängern, es im Einzelfall weniger kleinlich auszulegen und nach humanitären Gesichtspunkten nachzubessern. Denn was auf dem Papier großzügig erschien, hat sich in der Praxis als eher kleinkrämerisch erwiesen. Die vorläufige Bilanz zeigt: Es gibt immer noch mehr als 100.000 Menschen in Deutschland, die nur geduldet sind, 63.000 von ihnen leben schon seit über sechs Jahren hier. Und zum Jahresende könnte von den 30.000 Glücklichen, die wie Mirsad Miftaraj ein Bleiberecht auf Probe erhielten, ein Großteil wieder in die Duldung zurückfallen.

 

 

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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