„Die Demokratie mit Leben füllen“

Interview mit Björn von Swieykowski von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin

Von Ulrike Schnellbach

Rechtsextremistische Gewalt hat in Deutschland 2006 wieder zugenommen. Ist politische Bildung eine Erfolg versprechende Strategie dagegen?

Björn von Swieykowski: Ich rate auf jeden Fall dazu, nicht nur repressiv mit Gewalt umzugehen, sondern auch präventiv. Es ist ganz wichtig, dass junge Menschen schon in Schule und Jugendarbeit mit Humanismus und Menschenrechten konfrontiert werden und die Möglichkeit haben, so ein demokratisches Bewusstsein auszubilden. Deswegen ist es sinnvoll, auch mit Bildungsmaßnahmen rechtsextreme Gewalt zu bekämpfen. Es kommt aber darauf an, mit wem man arbeitet. Mit Menschen, die schon ein festes rechtsextremes Weltbild haben, lohnt es sich eigentlich nicht, die erreicht man nicht mehr. Man muss bei denen ansetzen, die für das Gedankengut empfänglich sind, aber noch kein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben.

Wie muss Bildung vermittelt werden, damit sie dieses Publikum erreicht?

Swieykowski: Man muss sich die Angebote der rechtsextremen Seite für Jugendliche anschauen: Musik, Fußballturniere, Demonstrationen, teilweise Gewalttaten – alles Angebote, die Erlebnisse vermitteln. Die Ideologie kommt erst als zweiter Schritt. Damit konkurriert man. Das heißt: Man kann nicht einfach abstrakt Demokratie vermitteln, sondern muss das mit Leben füllen. Zum Beispiel indem man im Jugendclub die Hausordnung aushandelt und darüber einen längerfristigen Prozess startet, über den Jugendliche lernen, dass sie mehr davon haben, wenn sie sich auf Regeln einigen und eine gewisse Fairness an den Tag legen. An solche positiven Erfahrungen kann sich ein demokratisches Bewusstsein koppeln.

Wie sollte man Rechtsextremen entgegentreten? Bei einem Seminar der Friedrich-Ebert-Stiftung mit jungen rechtsextremen Straftätern wurden die Männer sehr höflich behandelt, ihren Thesen wurde viel Raum gegeben. Die Referenten setzten darauf, überhaupt erstmal ins Gespräch zu kommen. Ist das ein Erfolg versprechendes Vorgehen?

Swieykowski: Das kommt auf die Situation an. Wenn man in einer Gruppe die Leute erstmal reden lässt, bietet man den Kadern, die sich besser ausdrücken können, eine Bühne für ihre Propaganda, das finde ich eher schwierig. Anders ist es, wenn man langfristig arbeitet, zum Beispiel in einem Jugendprojekt oder in einer Ausbildungswerkstatt: Wenn der Betreuer einem Jugendlichen, der rechte Sprüche klopft, erstmal zuhört und auf seine Bedürfnisse eingeht, dann ist das völlig richtig. Dann kann sich ein Vertrauensverhältnis entwickeln, auf dem man aufbauen kann – Beziehungsarbeit ist ganz wichtig. Andererseits müssen diese jungen Menschen konfrontiert werden mit bestimmten Standards und Regeln: Gewalt und diskriminierendes Verhalten sollten durchaus sanktioniert werden. Das kann man aber eben nur, wenn man längerfristigen Einfluss auf die Menschen hat.

Außer Bildung: Was empfehlen Sie als Mittel zur Bekämpfung von Rechtsextremismus?

Swieykowski: In der Arbeit mit rechtsextrem Orientierten geht es darum, sie aus der rechtsextremen Erlebniswelt herauszuholen. Ein Jugendarbeiter hat mir mal von einer Gruppe Jugendlicher erzählt, die sich für die rechtsextreme Szene interessierten: Mit denen hat er ein altes Moped wieder flott gemacht, so bekamen sie nebenbei eine kleine Mechanikerausbildung. Die haben daraufhin ihre Bomberjacken ausgezogen. Die rechtsextreme Szene war für sie nicht mehr interessant, sie hatten ein anderes Projekt, über das sie positive Erlebnisse hatten und ein Selbstwertgefühl entwickeln konnten.

Nun ist Rechtsextremismus ja nicht allein ein Jugendphänomen. Auch viele ältere Menschen teilen ausländerfeindliche, antisemitische Einstellungen. Was ist dagegen zu tun?

Swieykowski: Wir schulen zum Beispiel Leute, die in Seniorenbegegnungsstätten arbeiten. Und wir helfen alten Leuten, die selber da leben, argumentativ auf die Sprünge. So dass sie, wenn es rechtsextreme oder diskriminierende Äußerungen gibt, den Betreffenden auf gleicher Augenhöhe contra geben können. So etwas kann man auch bei Sportvereinen machen, da ist schon viel geholfen, wenn Trainer rechte Sprüche nicht durchgehen lassen.

Rechtsextremismus ist nicht am Rand, sondern „in der Mitte der Gesellschaft“ verwurzelt, hat eine Studie der Ebert-Stiftung ergeben. Wie kommt das?

Swieykowski: Die rechtsextreme Ideologie bietet ja auch Lösungen für aktuelle Probleme, die sie dann entsprechend zuspitzt. Hin und wieder lassen sich auch demokratische Politikerinnen und Politiker dazu hinreißen, solche einfachen Lösungen anzubieten. Ein sehr altes Beispiel: Edmund Stoiber hat einmal gesagt, das deutsche Volk werde „durchmischt und durchrasst“. Für so eine Aussage würde ihm die NPD natürlich Beifall klatschen. Und wenn Oskar Lafontaine von „Fremdarbeitern“ spricht, macht er damit zunichte, was andere in jahrelanger Basisarbeit aufgebaut haben. Oder wenn Politiker sich gegenseitig darin übertrumpfen, wer konsequenter kriminelle Ausländer abschiebt: Das macht es dann schwierig, den Bürgern zu vermitteln, dass es doch adäquatere, menschenrechtlich orientierte Lösungen gibt. Was Politiker und Prominente sagen hat große Symbolwirkung.

Wird Rechtsextremismus immer mehr salonfähig?

Swieykowski: Was zunimmt, ist rechtsextreme Gewalt und sind rechtsextreme Wahlerfolge. Rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung sind dagegen relativ stabil. Das Potential liegt vielen Studien zufolge seit langem zwischen acht und 15 Prozent von Menschen mit geschlossenem rechtsextremem Weltbild.

Welche Programme gegen Rechts sind Ihrer Erfahrung nach wirklich erfolgreich?

Swieykowski: Ich bin selbst Teil der mobilen Beratungsteams, die es in allen neuen Bundesländern gibt, und ich halte das natürlich für ein sinnvolles Projekt. Wir beraten die Bürgermeister, die Jugendämter, die Lehrer. Wir tauschen uns untereinander aus, so dass sich da sehr viel Know-how bildet, das meiner Meinung nach nicht verloren gehen sollte. Genauso sinnvoll sind Netzwerkstellen, die sich darum kümmern, dass sich demokratische Projekte vernetzen. Sie bilden eine Scharnierfunktion zum Beispiel zwischen dem Verein für Vietnamesen und einer lokalen Jugendgruppe, die ein interkulturelles Fest vorbereitet. Sinnvoll sind auch Projekte wie das, das es mal beim DGB gab, der in Schulen Projekttage angeboten und dadurch die demokratischen Kräfte unterstützt hat. Das ist vor allem in Regionen sinnvoll, wo die rechten Kräfte stark sind.

Wie langfristig sind denn Projekte wie Ihres abgesichert?

Swieykowski: Unser Projekt war in der Vergangenheit von dem Bundesprogramm „Civitas“ gefördert, das läuft im Juni aus. Civitas war ein Programm, das explizit Modellprojekte gefördert hat. Jetzt sind wir etabliert und gut verankert. Wir werden regelmäßig angefragt für alle möglichen Veranstaltungen, von längerfristigen Beratungsprozessen bis hin zu Podiumsdiskussionen oder Vorträgen. Das heißt es gibt eine ganz deutliche Nachfrage nach unserem Angebot. Nun müssen wir von der Modellförderung übergehen in eine Regelförderung, und das ist Aufgabe der Haushaltspolitiker.

Was kann die Politik noch tun?

Swieykowski: Politik sollte partizipative Maßnahmen fördern, das heißt die Hemmschwelle zum Mitmachen senken. Dann ist es wichtig, dass sich Politiker des symbolhaften Charakters ihres eigenen Handelns bewusst sind. Beispiel: Dass sich ein Politiker offiziell um ein Opfer rechtsextremer Gewalt kümmert. Oder dass Politiker zu Protestkundgebungen gegen rechtsextreme Aufmärsche kommen, das mobilisiert sicherlich weitere Leute. Für Politiker ist es auch wichtig, sich fortzubilden, wie man sich mit rechten Sprüchen am Wahlkampfstand auseinandersetzen kann. Am besten ist es, wenn es in den Parteien einen Beauftragten gibt, der sich dauerhaft mit diesem Thema befasst. Rechtsextremismus ist ja ein Thema, das immer dann Konjunktur hat, wenn es mal wieder einen spektakulären Anschlag gegeben hat. Es muss aber eine kontinuierliche Auseinandersetzung geben.

Was halten Sie von einem NPD-Verbot?

Swieykowski: Einerseits sollte man nicht immer nach dem Staat rufen, sondern die Bürger sind selbst aufgefordert, etwas für eine demokratische Gesellschaft zu tun. Andererseits ist es unerträglich, dass eine Partei, die in ihrer Programmatik und in ihrem aggressiven Verhalten so eine Ähnlichkeit zur NSDAP aufweist, Wahlkampfkosten erstattet bekommt und in den Parlamenten sitzt. Ein NPD-Verbot würde die rechtsextreme Szene sehr schwächen: durch Verlust der Mandate und vieler Geldquellen, des Parteivermögens und ihrer Immobilien. Das wäre ein enormer Rückschlag. Man dürfte nur dann nicht den Fehler machen sich zurückzulehnen, denn natürlich würden einzelne Leute in anderen Parteien weiterarbeiten, zum Beispiel in der DVU. Auf Dauer hilft nur eine aktive Gesellschaft von demokratisch gesinnten Bürgerinnen und Bürgern.

 

Infobox

Der Politikwissenschaftler Björn von Swieykowski (33) ist Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) in Berlin. Das Projekt berät Initiativen und Einzelpersonen, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagieren. Es unterstützt beispielsweise Lehrer, Sozialarbeiter, Jugendinitiativen und Kommunalpolitiker. Die MBR ist seit Juli 2001 als ein Modellprojekt des Bundesprogramms „Civitas – Initiativ gegen Rechtsextremismus in den Neuen Bundesländern” tätig und wird seit 2004 vom Land Berlin mitfinanziert.
Studie: Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.), Berlin 2006

 

Erschienen in der Badischen Zeitung und in Publik-Forum, April 2007

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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