Die Menschenwürde, antastbar

Nach zwei Jahrzehnten soll die UN-Kinderrechtskonvention nun endlich ohne Einschränkung gelten – zumindest theoretisch

Ein Zwischenruf von Ulrike Schnellbach

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat etwas zuwege gebracht, was ihre rot-grünen und schwarz-roten Vorgängerinnen mit fadenscheinigen Argumenten vor sich her geschoben hatten: Sie hat endlich die Vorbehalte gegenüber der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen zurückgenommen. Damit könnte eine 20-jährige Geschichte der Diskriminierung von Flüchtlingskindern enden – vorausgesetzt, die Regierung lässt den Worten Taten folgen und ändert nun auch das deutsche Ausländerrecht entsprechend.

In der UN-Konvention von 1989 sind umfassende Rechte für Kinder festgeschrieben, etwa das Recht auf Gewaltfreiheit, auf Bildung und bestmögliche Gesundheit sowie generell der Vorrang des Kindeswohls bei allen staatlichen Maßnahmen. Jedoch: Als die damalige christlich-liberale Koalition die Konvention ratifizierte, nahm sie  ausländische Kinder von diesen Rechten aus. Es müsse weiterhin möglich sein, so ihr Standpunkt, In- und Ausländer unterschiedlich zu behandeln. Soviel zum Sinn und Zweck universeller Menschenrechte.

Für Flüchtlingskinder bedeutet dies, und zwar bis zum heutigen Tag: Sie haben nur eingeschränkten Zugang zu Schule und Ärzten. Sie bekommen zusammen mit ihren Eltern reduzierte (Sach-)Leistungen – ein Drittel weniger im Wert als Hartz IV-Empfänger. Die gravierendsten Auswirkungen hat der Vorbehalt für jugendliche Flüchtlinge: Ab 16 Jahren werden sie im Asylrecht wie Erwachsene behandelt. Das bedeutet, dass sie in riesigen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, oft ohne entsprechende Betreuung; dass sie bei Asylverfahren keinen rechtlichen Vertreter haben; dass sie von ihren Familien getrennt werden können. Und im schlimmsten Fall bedeutet es, dass sie in Abschiebehaft genommen werden – wo nach Informationen von Pro Asyl seit 1993 mindestens sechs minderjährige Flüchtlinge starben oder sich das Leben nahmen. 

Eines Landes, das sich kinderfreundlich nennt und anderswo auf der Welt die Einhaltung der Menschenrechte anmahnt, ist solch ein Vorgehen unwürdig. Es verletzt nicht nur die Würde der betroffenen Kinder und Familien, sondern die der gesamten Gesellschaft.

Damit könnte es nun ein Ende haben. Allerdings nur, wenn die Politiker nach dem Vorbehalt gegenüber der UN-Konvention nun auch die diskriminierenden Bestimmungen im deutschen Ausländer- und Asylrecht streichen. Das ist längst nicht ausgemacht, wie die unterschiedlichen Reaktionen auf den Beschluss deutlich machten: Während sich die Justizministerin über einen „großen Tag für die Kinderrechte“ freute, gab der Innenminister zu Protokoll, dass sich in der Praxis nichts ändern werde. Sprich: Ob sich das überfällige Signal an die UNO wirklich in Verbesserungen für die Flüchtlingskinder in Deutschland niederschlägt, muss sich erst noch zeigen.

 

Erschienen in Publik-Forum 10/2010

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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