Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun

Die Abiturientin Judith Roth hat sechs Wochen lang versucht, ethisch korrekt zu leben. Ein Experiment mit Folgen

Von Ulrike Schnellbach

Judith Roth Judith Roth trinkt - meistens - Kräutertee statt Kaffee – Foto: Ulrike Schnellbach

Ethik und Moral im Leben – nicht gerade ein Thema, das man mit einer 19-Jährigen in Verbindung bringt. Doch Judith Roth, Schülerin einer Freiburger Waldorfschule, hat darüber eine Jahresarbeit geschrieben. Es geht um Lebensthemen von Pränataldiagnostik bis zu Sterbehilfe. Im Zentrum steht die Frage nach ethisch korrektem Konsumverhalten. Dem ist die Abiturientin nicht nur theoretisch auf den Grund gegangen, sondern hat es in einem sechswöchigen Selbstversuch erforscht. Was sie dabei erlebt und welche Schlüsse sie daraus gezogen hat, erzählte sie Ulrike Schnellbach.

Ethisch korrekt konsumieren: Was verstehst du darunter?

Judith Roth: Dass ich weder mir selbst noch anderen Menschen oder der Umwelt mit meinem Konsumverhalten schade. Das bedeutet für mich erstens, nur Produkte zu kaufen, die ich wirklich brauche. Zweitens: den Produkten eine Wertschätzung zukommen zu lassen; zum Beispiel Essen nicht unbedacht runterzuschlingen, sondern mir bewusst zu machen, dass es ein Geschenk ist, das wir von der Natur bekommen. Drittens darauf zu achten, dass Lebensmittel eine möglichst kurze Produktionskette haben, so dass ich nachvollziehen kann, aus was sie gemacht sind und wo sie herkommen. Viertens sicherzugehen, dass auch die Menschen, die die Konsumgüter hergestellt haben, in ihrer Arbeit eine angemessene Wertschätzung erfahren.

Wie bist du vorgegangen?

Judith Roth: Zuerst habe ich Tagebuch geführt und darin mein Konsumverhalten genau dokumentiert und mir Fragen notiert, die ich recherchieren wollte. Zunächst habe ich mich auf Lebensmittel konzentriert und mich bemüht, nur solche aus biologischer Produktion und fairem Handel zu essen. Ich habe viel gelesen, diskutiert und mir Gedanken gemacht. Im Lauf der Zeit kamen immer mehr Dinge dazu, die ich beachten musste, wenn ich konsequent sein wollte.

War das anstrengend?

Judith Roth: Ja, ich habe mich teilweise ganz schön unter Druck gesetzt. Manchmal habe ich mir gewünscht, ich hätte ein weniger philosophisches Thema gewählt, bei dem ich einfach die Informationen zusammentragen kann und nicht so viel reflektieren muss. Andererseits hat mich das Thema „Ethik und Moral“ schon lange beschäftigt, es kam irgendwie aus dem Bauch heraus und ist mir einfach wichtig.

Welche Situationen haben dir Schwierigkeiten bereitet?

Judith Roth: Schwierig war es vor allem, wenn ich bei anderen zu Besuch war. Zum Beispiel als eine Freundin eine Abschiedsparty mit dem Motto „USA“ machte, mit Cola, Hamburgern und allem drum und dran. Da habe ich extra vorher gegessen, kam mir aber blöd vor, dass ich bei dem Fest nichts angerührt habe. Oder als ich bei einer Freundin übernachtete und morgens beim Familienfrühstück saß. Ich wusste, dass diese Familie nicht biologisch einkauft – und habe mich diesmal entschieden, trotzdem mit zu essen, um nicht unhöflich zu sein. In solchen Situationen habe ich gemerkt, was ich mir da aufgebürdet hatte. Ich musste immer wieder austarieren, damit es einerseits für mich okay war und ich andererseits niemanden vor den Kopf stieß. Ich kam mir häufig vor wie ein Spielverderber. Zum Beispiel wenn Freundinnen nach Straßburg zum Shoppen gefahren sind: Dann bin ich zwar mitgefahren, habe mir aber nichts gekauft. Oder wenn wir Essen gehen wollten: Der Chinese schied für mich schon mal aus.

Wie haben denn die Leute reagiert?

Judith Roth: Meine Mutter hat mich total unterstützt, sonst hätte ich es nicht durchgehalten. Andere haben zum Teil bewundernd reagiert, zum Teil ablehnend. Ich habe heftige Diskussionen gehabt und mich mit Leuten gestritten, mit denen ich mich sonst gut verstehe. Manche haben blöde Bemerkungen gemacht nach dem Motto: „Das ist aber gar nicht ethisch korrekt“, wenn ich mal nicht konsequent war. Nervig war auch, dass viele meinten, sich für ihr Verhalten plötzlich vor mir rechtfertigen zu müssen.

Was ist dir am schwersten gefallen?

Judith Roth: Meinen Kaffeekonsum zu reduzieren! Ich hatte vorher drei Tassen Kaffee am Tag getrunken. Nun weiß ich, dass für die Produktion einer Tasse Kaffee 140 Liter Wasser verbraucht werden. Deshalb habe ich nur noch alle zwei Tage eine Tasse Kaffee getrunken und ansonsten Tee. Damit habe ich aber auch auf das Ritual „Kaffeetrinken“ verzichten müssen. Schwer gefallen ist mir auch, auf manche Früchte zu verzichten wie Ananas oder Mango. Wir kaufen zwar sowieso fast alles im Bioladen, aber die Transportwege für exotische Früchte finde ich trotzdem nicht okay. Bei anderen Gebrauchsgütern, zum Beispiel elektronischen Geräten, wäre die Auswahl um einiges schwerer gewesen, da hier die Produktionskette noch schwerer nachzuvollziehen ist und es zum Beispiel noch keine Fair Trade-Handys gibt. Diese Frage habe ich mir allerdings nur theoretisch gestellt, da ich in der Zeit keine neuen Geräte brauchte.

Was war einfacher?

Judith Roth: Weniger Klamotten zu kaufen und die nicht bei H&M. Ökologisch hergestellte Kleidung ist zwar teurer, hält dafür aber länger. Ich habe festgestellt, dass es nicht nur diesen typischen Öko-Look gibt, der mir gar nicht gefällt, sondern auch tolle junge Labels.
Außerdem habe ich Flohmärkte und Tauschbörsen im Internet für mich entdeckt.

Welche Erkenntnisse hast du gewonnen?

Judith Roth: Zum einen, dass wir zuhause, wo „Bio“ schon ziemlich etabliert ist, noch vieles besser machen können. Zum Beispiel auf unnötige Südfrüchte verzichten oder weniger fliegen. Zum anderen aber auch, dass es bei manchen Fragen gar nicht einfach ist zu entscheiden, was ethisch besser ist. Zum Beispiel war ich überzeugt, dass Milch in Glasflaschen ökologischer ist als im Tetrapak, musste aber einsehen, dass die Umweltbilanz nicht eindeutig ist. Ungelöst ist für mich nach wie vor die Frage, wie viel mein eigenes Verhalten eigentlich ausmacht. Wenn zum Beispiel eine Tüte Süßigkeiten herumgereicht wird und ich verzichte, wird die Tüte ja auch ohne mein Zutun leer. Auch bei schwierigeren Fragen wie Pränataldiagnostik oder Sterbehilfe, mit denen ich mich im Theorieteil meiner Arbeit beschäftigt habe, ist es für mich nicht einfach, mir eine klare Meinung zu bilden. Solche Fragen stellen sich ja in Extremsituationen, mit denen ich in meinem Leben noch nicht konfrontiert war.

Hast du dein Verhalten dauerhaft verändert oder bist du nach den sechs Wochen erleichtert zu deinen alten Gewohnheiten zurückgekehrt?

Judith Roth: Vieles habe ich beibehalten, zum Beispiel nach Möglichkeit im Bioladen einzukaufen, weniger Klamotten zu kaufen oder kein Fleisch zu essen, wenn ich nicht weiß, woher es kommt. Ich habe es aber nicht geschafft, ganz konsequent zu bleiben. Vor allem jetzt, wo ich im Abistress stecke, habe oft ich nicht den Nerv den Aufwand zu betreiben, den es bedeutet, wenn man konsequent sein will. Ich werde auch nicht dauerhaft aufs Fliegen verzichten: Nach dem Abi mache ich ein soziales Jahr in einem Projekt in Afrika, da käme ich nur mit großem Aufwand anders hin.

Was ist dein Fazit – würdest du so einen Selbstversuch noch einmal machen?

Judith Roth: Auf jeden Fall, und ich würde es jedem empfehlen, das mal auszuprobieren. Das ist eine richtig gute Erfahrung: Man hat das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun mit dem, was man kauft. Ich war immer schon konsumkritisch eingestellt und bin auch in so einem Umfeld aufgewachsen; aber durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema kann ich jetzt viel klarer argumentieren.

      

Erschienen in Publik-Forum 13/2013

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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