Keine Angst vor dem Sterben

Interview mit den Filmemacherinnen Katharina Gruber und Gisela Tuchtenhagen über den Film „Bilder, die bleiben“

Von Ulrike Schnellbach

Katharina Gruber und Gisela Tuchtenhagen Katharina Gruber und Gisela Tuchtenhagen – Foto: Ulrike Schnellbach

Welches Ziel steckt hinter dem Film?

Katharina Gruber: Gesine war eine Frau, die sehr offen über ihre Krebs-Erkrankung sprechen konnte. Das hat sie selbst als Geschenk erlebt. Und was dadurch passiert ist: Diejenigen, die mit ihr zu tun hatten, waren auch offen. Weil Gesine gemerkt hat, wie wichtig das für die anderen war, hatte sie das Gefühl: Das kann man auch in die Welt tragen. Wir wollten mit dem Film das Tabu brechen, dass man über Sterben und Tod nicht spricht, und wir wollten da auch die Angst rausnehmen. Wir zeigen, wie man selbstbestimmt mit dem Sterben umgehen kann und wie ein liebevoller Abschied aussehen kann.

Gisela Tuchtenhagen: Wir wollen erreichen, dass sich möglichst viele Menschen mit ihrer Vergänglichkeit auseinandersetzen, so dass der Tod nicht einfach so über uns kommt eines Tages wie das Blaue vom Himmel. Als wir den Film in Basel bei der Krebsliga gezeigt haben, war da eine junge Frau im Rollstuhl, die anschließend sagte, irgendetwas hätte sie auch gerne so, wie es bei Gesine war. Genau das soll der Film bewirken: dass man sich vorstellen kann, wenn man krank wird, wie man es gerne hätte, und dass man sich traut, diese Gedanken zu äußern.

Frau Tuchtenhagen, Sie sind unter anderem bekannt als Kamerafrau in Katja Baumgartens Film „Mein kleines Kind“ über die Geburt und den Tod ihres schwer behinderten Kindes. Geburt und Tod: die intimsten Momente im Leben – wie schafft man es, das mit der Kamera zu dokumentieren, ohne zum Voyeur zu werden?

Gisela Tuchtenhagen: Das ist eine Gratwanderung. Es ist überhaupt nicht so einfach, wie es aussieht. Ich muss mich absolut zurücknehmen und kann nur hoffen, dass ich Teil der Situation werden darf. Ich kann mich erinnern, dass ich mich bei „Mein kleines Kind“ zunächst gar nicht getraut habe, so nah ranzugehen, und dann kamen Katja, die Mutter, und auch der Arzt zu mir und haben gesagt: „Hast du das schon? Und hast du den Atem gehört, komm, nimm das doch mal auf…“ – und wenn ich so angenommen bin, dann ist das natürlich sehr schön. Aber davon kann ich nicht ausgehen, ich muss mich erstmal so verhalten, dass ich angenommen werde.

Die beste Freundin beim Sterben zu begleiten, und diesen Prozess gleichzeitig professionell zu dokumentieren – wie schafft man diesen Spagat?

Katharina Gruber: Das war ja etwas, das Gesine und mich sehr verbunden hat, als Freundinnen und als Kolleginnen: Wir wollten, dass Sachen im Leben einen Sinn machen. Da gab es nicht die Trennung, das eine ist mein Beruf und das andere ist das Leben. Da gab es keinen Bruch.

Im Film sagt Gesine, sie habe keine Angst vor dem Sterben. War das wirklich so?

Katharina Gruber: Ich glaube, sie hatte wirklich keine Angst vor dem Tod. Sie hatte vor den Schmerzen Angst und am meisten davor, dass es so lange dauert. Aber Gisela hat sie ja mal gefragt: „Gab es etwas, das für dich schlimmer war als die Krebserkrankung?“, und da hat Gesine von ihrer Trennungsgeschichte mit ihrem langjährigen Freund erzählt, die für sie existentieller gewesen sei als der Krebs. Und das hat gestimmt, das wusste ich. Gesine war nicht im christlich-klassischen Sinn gläubig, aber für sie hat das Leben nicht mit dem Tod aufgehört.

Was hätte Gesine zu dem Film gesagt?

Katharina Gruber: Ich glaube, der gefällt ihr richtig.

Infobox

Katharina Gruber, Jahrgang 1967, wuchs mit sechs Geschwistern in Oberschwaben auf. Sie studierte Soziologie in Freiburg i. Br. und Amhurst, USA. 1999 drehte sie gemeinsam mit Gesine Meerwein den Film „Lebenskünstlerinnen: sieben Frauen – ihre Erfahrung mit Krebs“. Der Film lief bundesweit bei Festivals und in Kommunalen Kinos. Katharina Gruber hat bei verschiedenen Bestattungsunternehmen mitgearbeitet und mehrere Freundinnen beim Sterbeprozess begleitet. Sie lebt in Freiburg.

Gisela Tuchtenhagen, 1943 in Pommern geboren, wuchs in Schleswig-Holstein und Frankreich auf. Sie ist ausgebildete Fotografin und Krankenschwester und studierte an der Filmakademie in Berlin. Sie war Lehrbeauftragte an verschiedenen Filmhochschulen und Gründungsmitglied der Filmwerkstatt  „Dokumentarisch Arbeiten” und ist Mitglied der Akademie der Künste. Für ihre Filme wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem zwei Mal mit dem Adolf-Grimme-Preis. Gisela Tuchtenhagen hat zwei adoptierte Söhne und lebt in Hamburg.

„Bilder, die bleiben“, Deutschland 2007, Regie Katharina Gruber und Gisela Tuchtenhagen. Der Film kann als DVD über bestellt werden.
www.lebenskuenstlerinnen.de

 

Erschienen in der Badischen Zeitung und in Publik-Forum, Oktober 2007

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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