Morgenlicht am Lauberhorn

Alle Jahre wieder: Skifahren im Berner Oberland

von Ulrike Schnellbach

Die Autorin (2. v. r.) mit Familie und Freunden am Lauberhorn – Foto: Schnellbach
Startklar am Lauberhorn: Die Autorin mit Familie – Foto: Schnellbach

Es kommt vor, mitten im Sommer, dass unser Sohn am Esstisch unvermittelt rezitiert: "On your left you see the world famous Eiger North Wall", oder auch: "Prochain arrêt: Kleine Scheidegg". Unsere Tochter fällt dann gerne ein: "Hie chasch Röschtizza ha!" Die beiden träumen vom Skiurlaub auf der Kleinen Scheidegg im Berner Oberland, wo die Attraktionen in der Bahn dreisprachig angesagt werden und die Bergstation eine richtig gute Röstizzeria beherbergt. Ein Ziel, das sich von Freiburg aus sogar mit Skigepäck per Zug erreichen lässt (nicht einmal vier Stunden bis Grindelwald) und das Seinesgleichen sucht: Die mehr als 100 Pistenkilometer liegen direkt an den Giganten Eiger, Mönch und Jungfrau, die Ausblicke ins Tal oder zum Schilthorn sind einfach göttlich.

Der Bahnhof Kleine Scheidegg auf einem Pass in gut 2000 Meter Höhe ist der trubeligste Punkt im Skigebiet, wo sich viele Pisten treffen und ein Nadelöhr, vor allem, wenn die Bahnen jede halbe Stunde Hunderte Skifahrer auf einmal ausspucken. Erstaunlicherweise sieht man dort kaum Zusammenstöße, es geben wohl alle Acht. In unseren ersten Jahren bezogen wir direkt im Bahnhof Quartier (inzwischen wohnen wir ruhiger, etwa 300 Meter oberhalb, wo wir uns mit Freunden ein für Schweizer Verhältnisse erschwingliches Zwölferzimmer teilen). Damals bewältigte unsere Tochter zwischen meinen Beinen ihre ersten blauen Talabfahrten, während der kleine Bruder mit dem Papa auf dem Schlitten unterwegs war. Noch heute schwärmen sie von ihrem Ausflug mit der Zahnradbahn zum "Top of Europe" auf dem Jungfraujoch (höchstgelegener Bahnhof Europas: 3454 Meter). Von dort bietet sich ein unvergleichliches Panorama mit schneebedeckten Drei- und Viertausendern, so weit das Auge reicht.


Nach der letzten Abfahrt: Die Eiger Nordwand im Abendrot – Foto: Schnellbach

Ein paar Jahre später stand auch der Sohnemann auf eigenen Brettern. Aus jener Zeit stammt ein selbstgemalter Kalender mit einem Bild voller Schneekanonen für den Februar, das er mit "Wixi fahren" unterschrieben hat. Die "Wixi", eine lange rote Abfahrt auf einem breiten Sonnenhang, zählt bis heute zu seinen Favoriten.

Seit alle schwarze Pisten fahren können, gibt es allerdings ein anderes Highlight. Frühmorgens, bevor die Züge aus dem Tal ankommen, haben wir die frischen Pisten quasi für uns. Unbeschreiblich, wenn es in der Nacht Neuschnee gegeben hat und die Skier lautlos durch die weiche Schicht gleiten! Gegen 9 Uhr beginnt die Sonne zaghaft den Lauberhorn-Gipfel anzustrahlen, erst nur die Spitze, dann klettert sie Stück für Stück den Berg herunter, bis sie schließlich den ganzen Hang in ihrem Licht badet.


Stille am Abend: Der Bahnhof Kleine Scheidegg unterhalb von Mönch und Jungfrau – Foto: Schnellbach

Dies ist der Moment für die 4,5 Kilometer lange Lauberhorn-Abfahrt mit dem legendären Hundschopf. Wo wir voller Ehrfurcht stehen bleiben und uns sammeln für die schmale, steile Passage, springen die Profis beim FIS-Rennen einfach über den Felsen – bis zu 70 Meter weit. Für die ganze Strecke brauchen sie 2 Minuten 30. Wir dagegen schwingen genüsslich eine Viertelstunde bergab. Unten, im mondänen Wengen, lassen wir uns am Ende mit dem Skipass unsere persönliche Bilanz ausdrucken: 10 000 Höhenmeter kommen an einem einzigen Tag zusammen, 56 Pistenkilometer, 30 Liftfahrten, 465 Minuten Spaß.

Abends am Berghaus, die Gesichter von Sonne und Schneeluft gerötet, die Augen satt vom Schauen und Staunen, noch ein besonderer Augenblick. Die Talbewohner sind abgefahren, es kehrt Ruhe ein und das Abendlicht taucht die Eiger-Nordwand langsam in zartes Rosa. Wir schauen uns an und sind uns einig: nächstes Jahr wieder!

Erschienen in der Badischen Zeitung, 27. März 2015

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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