Die Suche nach dem richtigen Maß

Schreiben über Rechtsextremismus: Wieviel Aufklärung tut not, wie viel Aufmerksamkeit ist angemessen? Journalisten gehen mit dem Druck von rechts unterschiedlich um – und riskieren mitunter ihre Gesundheit

Von Ulrike Schnellbach

Strammer Seitenscheitel, glattrasiertes Gesicht, durchdringender Blick, so steht Simon Kaupert auf der Bühne in Würzburger Innenstadt und redet sich und sein Publikum in Rage. Minutenlang zitiert er aus einem Text der Main-Post, dehnt gekonnt die Wörter und Sätze, legt Kunstpausen ein, in denen er provozierend aufschaut. Das stachelt die Menge auf: „Schäm dich“, skandiert sie, „Lü-gen-pres-se“. Der Hass richtet sich gegen Michael Czygan, der Kaupert in der Lokalzeitung portraitiert hat. Der Würzburger Student dirigiert den PEGIDA-Ableger WÜGIDA und tritt dort als Hauptredner auf. Heute geht er den Reporter frontal an, duzt ihn höhnisch, beschimpft ihn als „Berufslügner“, als „linksversifften Schreiberling“. Viele Minuten lang geht das so. Michael Czygan steht im Publikum und braucht einige Nerven, um sich nicht provozieren zu lassen. Leicht zu ertragen sind die Tiraden nicht. Nicht einmal, wenn man sich die Szene Monate später auf Video anschaut. Dieser Hass, diese Hetze, dieser Fanatismus. Diese Ähnlichkeit zu Schwarzweißfilmen, in denen widerliche Berufs-Einpeitscher die fanatisierten Massen anbellen.

Michael Czygan „Hausverbot“ von der AfD: Michael Czygan, Main-Post, Würzburg

Main-Post-Reporter Czygan redet heute, anderthalb Jahre später, ziemlich abgeklärt über die Situation damals auf dem Würzburger Platz. „Man muss seinen Job unaufgeregt machen“, sagt der 52-Jährige, „sachlich berichten – und in Kommentaren Haltung zeigen.“ Er hatte versucht, für die Recherche zu seinem Portrait zu Simon Kaupert Kontakt aufzunehmen; er hat später auch versucht, mit AfD-Vertretern ins Gespräch zu kommen – professionelle Recherche eben. Kaupert antwortete nicht. Die AfD im Landkreis Main-Tauber erteilte dem Redakteur nach einem kritischen Leitartikel „Hausverbot“. Als er im Internet als „Kinderficker“ beschimpft wurde, hatte er die Nase voll und erstattete Anzeige.

„Das nehmen Sie mit in den Sportverein, zu Familienfeiern, unter die Dusche“

Zum Glück lief sich WÜGIDA, die in der beschaulichen fränkischen Stadt zeitweise 300 Menschen mobilisierte, mit der Zeit tot. „Irgendwann hatte man das Gefühl, dass es die Aufmärsche nur noch gibt, weil wir Journalisten darüber berichten“, stellt Czygan selbstkritisch fest. Da war für die Main-Post die Zeit gekommen, das Thema in die Meldungsspalte zu verbannen. Schließlich wollte man nicht die Propaganda-Arbeit der Hetzer verrichten.

Wieviel Aufklärung tut not, wie viel Aufmerksamkeit ist angemessen? Das fragen sich viele Kolleginnen und Kollegen. Gut möglich, dass die anfängliche Faszination der Medien für das bizarre sächsische Phänomen die PEGIDA-Bewegung erst so richtig groß gemacht hat. Jedes Wochenende die bange Frage in der Vorberichterstattung: Wieviele werden diesen Montag vor der Dresdner Semperoper demonstrieren? Das könnte die Sympathisanten angespornt haben, immer neue Rekordmarken zu knacken. Aber deshalb nicht zu berichten, ist auch keine Option. Ein Dilemma.

Ulrich Wolf

In der Höhle der Löwen: Ulrich Wolf, Sächsische Zeitung, Dresden

In Dresden haben sich die rechten Aufmärsche nicht wie in Würzburg von selbst erledigt. Nach wie vor bringt PEGIDA Montag für Montag 2000 bis 3000 Demonstranten auf die Straße. Zwischen Anfang 2014 und Mitte 2016 hat die Sächsische Zeitung rund 3000 Texte über die islamfeindliche Bewegung gedruckt, berichtet Ulrich Wolf, der inzwischen berühmt gewordene Reporter des Blattes. Er hat zahlreiche Auszeichnungen für seine aufklärenden Texte über Lutz Bachmann und dessen „Patriotische Europäer“ entgegengenommen. Das ist die erfreuliche Seite. Das Thema selbst ist aber auch für Wolf alles andere als angenehm. „Das nehmen Sie mit in den Sportverein, zu Familienfeiern, unter die Dusche“, sagt der 51-Jährige und empfindet dabei manchmal „eine bleierne Schwere.“ Szenen wie Michael Czygan in Würzburg hat auch er erlebt. Beispielsweise als PEGIDA-Gründer Bachmann beim „Weihnachtssingen“ 2014 die Nationalhymne absingen lässt und dann „die TOP 3 der Lügenpresse“ nennt, darunter namentlich Ulrich Wolf. „Und ich mittendrin! Ich wäre am liebsten ganz klein geworden“, sagt der Zweimeter-Mann. Anfeindungen gibt es auch über die „sozialen“ Netzwerke, Sachen wie „Wir kriegen euch alle von der LügenpreSSe“ (so geschrieben).

„Ich bin jetzt auch ein besorgter Bürger“

Es bleibt nicht bei Drohungen. Tätliche Angriffe auf Medienvertreter bei rechten Demonstrationen sind mittlerweile an der Tagesordnung. Nach Angaben des European Centre für Press and Media Freedom in Leipzig wurden im vergangenen Jahr mindestens 29 Journalisten wegen ihrer Zugehörigkeit zu den verpönten „Mainstream-Medien“ geschubst, geschlagen, getreten oder angespuckt – in den Vorjahren war derlei nur vereinzelt gemeldet worden. Um das Thema öffentlich zu machen, hat der Deutsche Journalistenverband (djv) inzwischen den Blog Augenzeugen.info gestartet. Angriffe gibt es kreuz und quer durch Deutschland, schwerpunktmäßig aber in Sachsen.

„Hier hat niemand mehr Lust, über die Rechten zu schreiben“, berichtet ein freier Journalist aus Leipzig und erzählt von einer unangenehmen Begegnung mit Rechten am ersten Tag seines Volontariats: „Schreib ja nichts Falsches“, hätten sie ihm gedroht und behauptet, sie seien „gar nicht rechts“. Auf dem T-Shirt der Aufdruck: „Wir bleiben braun“.

Nicht nur in Sachsen werfen manche Berichterstatter genervt oder aus Angst das Handtuch. Im August 2015 machte der Euskirchener Rechtsanwalt und Kolumnist Heinrich Schmitz mit seiner „Kapitulationserklärung“ im Berliner Tagesspiegel von sich reden. Er war in seinen Texten gegen Fremdenhass eingetreten. Zuletzt hatte er dargelegt, dass der Bundestag sehr wohl das Demonstrationsrecht einschränken könnte, so dass Ausländerfeinde nicht vor Flüchtlingsheimen protestieren dürften. Daraufhin wurden er, seine Familie und sogar Freunde von Rechtsextremen bedroht; sie streuten sogar das Gerücht, Schmitz habe seine Frau umgebracht. Im Tagesspiegel erklärte Schmitz, er werde nicht mehr über politische Themen schreiben. „Ich bin jetzt auch ein besorgter Bürger“, schrieb er sarkastisch. „Ich sorge mich um die Sicherheit meiner Frau und meiner Kinder. Und ich bin nicht mehr bekloppt genug, diese Sicherheit für etwas zu riskieren, was ohnehin nur einen sehr begrenzten Teil der Bevölkerung erreicht.“

„Ihr Journalisten dürft eure Laptops jetzt nicht wegstellen“

Andere, darunter auch zahlreiche Frauen, lassen sich trotz massiver Anfeindungen bis hin zu Angriffen nicht kleinkriegen. Prominente Journalistinnen, die den Hetzern die Stirn bieten, sind etwa die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, die NDR-Redakteurin Anja Reschke, Astrid Geisler von ZEIT-online oder die freie Journalistin und Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke. Und natürlich berichten tagtäglich überall in Deutschland Autorinnen und Autoren aller möglichen Medien weiterhin über Rassismus und Fremdenhass. Ganz einfach weil sie wissen, dass sie mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Demokratie leisten.

Dunja Hayali Anja Reschke
Setzen sich intensiv mit Hass-Kommentaren auseinander:
Die TV-Moderatorinnen Dunja Hayali (ZDF) und Anja Reschke (WDR)

Tief im Westen hält Peter Bandermann die Stellung, Reporter bei den Ruhr-Nachrichten in Dortmund. Die Stadt ist ein Zentrum der extremen Rechten. „Zwischen 2001 und 2006 gab es hier fünf Todesopfer rechter Gewalt“, berichtet der 49-Jährige. Als Journalist könne man sich da gar nicht entziehen. Für einen wie ihn ist die Gefahr allgegenwärtig: Drohbriefe, Telefonterror, Kataloge für Munition im Briefkasten, auch mal ein Prospekt des Gestapo-Gefängnisses Bautzen. Attacken am Rande von Demos, rechte Versammlungen vor Bandermanns Haus, Farbbeutel an der Fassade. Seine Joggingstrecke wurde auf Nazi-Seiten im Netz veröffentlicht, ebenso der Zeitpunkt, wann er üblicherweise nach Hause kommt.
Und dann die Todesanzeige. Die erschien Anfang vergangenen Jahres auf Facebook und Twitter und verkündete das baldige Ableben eines gewissen – Peter Bandermann. Absender: der „Nationale Widerstand“, ein Neonazi-Netzwerk. Als Bandermann davon erfuhr, versuchte er sofort, seine Familie zu entwarnen – zu spät. Der Schock über die Todesanzeige saß bereits. In der Folge musste sich Bandermann auch über Kollegen ärgern, die über den Vorfall berichteten, ohne mit ihm Rücksprache zu halten. „Sie wollten einfach diese Opfer-Geschichte haben.“

Peter Bandermann

Für tot erklärt: Peter Bandermann, Ruhr-Nachrichten, Dortmund

In diese Rolle will er sich aber nicht drängen lassen. „Inzwischen reagieren wir abgeklärt“, sagt er. Die Tatsache, dass seine Frau und seine Tochter ihm den Rücken stärkten, sei entscheidend gewesen für seinen Beschluss weiterzumachen. „Ihr Journalisten dürft eure Laptops jetzt nicht wegstellen“, habe seine 18-jährige Tochter gesagt, als sie letzten Sommer von den Übergriffen auf Flüchtlinge im sächsischen Heidenau las. Auch viele Leser ermutigen den Reporter, sich nicht kleinkriegen zu lassen. Etwa mit Briefen wie diesem: „Bitte machen Sie weiter! Finden Sie für uns das Maß der Berichterstattung.“

„Man wird sehr vorsichtig in der Berichterstattung“

Das richtige Maß, das ist für Bandermann der Knackpunkt. Zwar dürften Journalisten nicht locker lassen, aber sie sollten auch nicht in die Fallen der Rechten tappen. Ein Beispiel: Von einem Brandanschlag auf ein jüdisches Mahnmal in Dortmund erfuhren die Ruhr-Nachrichten durch einen Hinweis im Stil eines „besorgten Bürgers“, der schrieb: „Warum verschweigen Sie das?“ Da Bandermann sich seit Jahren mit der Szene beschäftigt, wusste er jedoch: Der Absender war ein Vollnazi, der einen Bericht provozieren wollte. „Dabei geht es um Ruhm und Ehre innerhalb der Szene“, weiß der erfahrene Journalist. Er plädiert dafür, in jedem Einzelfall bewusst abzuwägen, wie und wie viel man schreibe. In diesem Fall haben die Ruhr-Nachrichten dann doch berichtet. „Wir waren der Meinung, dass man so einen Brandanschlag nicht verschweigen darf“, resümiert Bandermann. „Und wir haben wieder dazugelernt: Die legen ein Feuer und schieben dann mit dieser Information die Presse an.“

Statt über jedes Stöckchen zu springen, versuchen Bandermann und seine Kollegen, abseits der allgemeinen Aufregung über Einzelfälle die Hintergründe aufzudecken. Zum Beispiel mit einer Doppelseite über die Parallelen der in Dortmund aktiven Partei „Die Rechte“ zu den Nationalsozialisten. Wichtig sei es auch, der rechten Propaganda eigene Themen entgegenzusetzen. So hätten die Ruhr-Nachrichten etwa mit der Serie „Fluchtpunkt Deutschland“ über Helferkreise „die herzliche, menschliche Seite Dortmunds“ ins Zentrum gerückt. Auch das eine professionelle Antwort auf wachsende Fremdenfeindlichkeit. 

Frank Überall „Profi-Presse“ statt „Lügenpresse“: Frank Überall, Deutscher Journalisten-Verband

Eines wird bei allen Gesprächen deutlich: Der Vorwurf, die Presse lüge, hat bei den so Diffamierten tiefe Spuren hinterlassen. Einige haben aufgegeben. Viele sind zumindest verunsichert. „Man wird sehr vorsichtig in der Berichterstattung“, sagt Ulrich Wolf von der Sächsischen Zeitung, „man will denen ja keine Munition liefern.“ Andere gehen in die Offensive. So haben Medienvertreter aus Sachsen das Portal Lügenpresse.de gestartet, auf dem sie sich gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen. Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, hat eine andere Idee. Im „Kampf um die Begriffe“ hat er einen Konter lanciert: Dem Schmähwort von der „Lügenpresse“ setzt er den Begriff „Profi-Presse“ entgegen. Man dürfe sich nicht einschüchtern lassen von denen, die besonders laut schreien, sagt er und gibt den Kolleginnen und Kollegen beim Seminar der Friedrich-Ebert-Stiftung einen nur scheinbar flapsigen Rat: „Kopf heben, Krönchen richten, weitermachen!“ 

 

© Ulrike Schnellbach 2016 – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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