Nicht die Akteure, sondern die Ideologie in den Blick nehmen

Ein neuer Sammelband sensibilisiert dafür, wie Medien verantwortungsvoll über Rechtsextremismus berichten können

Von Ulrike Schnellbach

 Cover: Rechtsextremismus. Band 4: Herausforderungen für den Journalismus

„Identitäre sammeln Geld für ‚Anti-NGO‘-Flotte im Mittelmeer“: So lautete eine Schlagzeile im Mai 2017 in österreichischen Tageszeitungen. Darunter berichteten sie über eine Aktion rechtsextremer Aktivisten, die Rettungsschiffe für Geflüchtete blockieren wollten. In den Texten kamen weder Seenotretter noch Rechtsextremismus-Expertinnen zu Wort. Stattdessen übernahmen die Medien, wie die Wiener Politologin Judith Goetz sarkastisch notiert, kostenlos die Werbung für die rechtsextreme Gruppe, „die binnen kürzester Zeit die notwendige Summe für das Schiff sammeln konnte“.
Goetz hat den Sammelband „Rechtsextremismus: Herausforderungen für den Journalismus“ mit herausgegeben. Er benennt Fallstricke bei der Berichterstattung über die extreme Rechte, erklärt Muster rechtsextremer Rhetorik und Medienarbeit und gibt Tipps, „wie Journalist*innen verantwortungsvoll über Rechtsextreme und ihr Weltbild berichten können, ohne ihnen in die Hände zu spielen“. Auch wenn der Fokus auf Österreich liegt, können Journalistinnen und Journalisten hierzulande von der Lektüre sehr profitieren – zumal das Nachbarland im Umgang mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Politikern einen Erfahrungsvorsprung hat: Die FPÖ war in Wien schon von 2000 bis 2005 und zuletzt von 2017 bis 2019 an der Regierung.

Rechtsextreme PR, kostenlos verbreitet

Auch die „Identitären“ waren mit ihrem Anführer Martin Sellner in Österreich besonders virulent. In Deutschland ist die Gruppierung, die der Verfassungsschutz beobachtet, eng mit der AfD verbunden. Zu ihrer Bekanntheit – und womöglich auch zu ihrem Anwachsen – haben die Medien nach Analyse der Buch-Autoren nicht unwesentlich beigetragen. Denn Redaktionen sind den Rechtsextremen vielfach in die Falle getappt, indem sie deren Selbstinszenierung über Fotos und Begriffe zumindest anfangs unkritisch verbreiteten. Manche hierzulande werden sich an das migrationsfeindliche Banner erinnern, das die „Identitären“ 2016 am Brandenburger Tor hissten. Die von der IB („Identitäre Bewegung“) selbst verbreitete Aufnahme wurde von vielen Zeitungen abgedruckt – ein gelungener PR-Coup. Auch die Verschwörungserzählung vom angeblich geplanten „Großen Austausch“ haben Zeitungen verbreitet, etwa in einem Spiegel online-Text von Jan Fleischhauer mit dem Titel „Bevölkerungsentwicklung: Die Angst vor dem großen Austausch“ (20.03.2017). So ging die Strategie der IB auf, die sie in einem internen Strategiepapier so formuliert hat: „Mit Aktionen schaffen wir einen medialen Hype und eine Viralität, die unsere Parolen und Bilder so schnell und breit wie möglich streuen“ (zit. nach Goetz, S.122).
Die Folge der medialen Verbreitung ist, so warnt die Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU), die den Band mit herausgegeben hat, dass rechtsextreme Diskurse und Deutungen sich normalisieren und zunehmend als legitim erscheinen. Man hätte das kaum treffender ausdrücken können als der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der in einem Interview im September 2018 anmerkte: „Vieles von dem, was ich heute sage, ist vor drei Jahren noch massiv kritisiert und als rechtsradikal abgetan worden, das hat sich geändert.“

Neues Genre: Homestory aus Schnellroda

Mittlerweile ist das Bewusstsein dafür gewachsen, welche Auswirkungen es hat, wenn Medien rechtes Framing und Bildmaterial übernehmen und sich damit (meist) ungewollt zu Komplizen der extremen Rechten machen. Dennoch passiert es nach wie vor, dass Redaktionen allzu unbedacht über die Stöckchen springen, die Rechtspopulisten oder Rechtsextreme ihnen hinhalten. So bemerkt der Rechtsextremismus-Forscher Bernhard Weidinger süffisant, dass das Sellner-Interview, in dem dieser seine menschenverachtende Ideologie darlegt, inzwischen beinahe als eigenes Genre gelten könne – genauso wie die Homestory beim „neurechten“ Ideologen Götz Kubitschek im sachsen-anhaltinischen Schnellroda.
Nicht immer geht es den Medien dabei um die Aufklärung über die Gefahren von rechts. Häufig schielten sie auch schlicht auf Quoten und Reichweite, die durch eine alarmistische, Angst schürende Berichterstattung in die Höhe getrieben werden sollen, analysiert Weidinger. In diese Kategorie fallen auch Talkshows mit rechtsextremen Gästen: „Sie versprechen starke Sager, empörte Reaktionen und aufgeheizte Atmosphäre – und bescheren den Protagonist/-innen und Thesen der extremen Rechten gleichzeitig kostenlose Publizität.“ Die Buch-Autorinnen und Autoren plädieren dafür, nicht mit Rechten zu reden, sondern fundierter über sie zu berichten. Das heißt: ihre Ideologie analysieren und aufzeigen, welche Folgen es hätte, würden ihre Forderungen umgesetzt. Ganz wichtig dabei: Betroffene zu Wort kommen lassen. „Die Perspektive der Opfer/Diskriminierten dokumentiert die Taten der TäterInnen und durch diese lässt es sich erkennen und nachempfinden, was Rechtsextremismus bedeuten kann, ohne dass Rechtsextremen und rechtsextremer Ideologie zu viel Raum gegeben wird.“

Drohpotenzial und Gewaltbereitschaft

Der Band behandelt weitere Aspekte, die beim journalistischen Umgang mit Rechtsextremismus wichtig sind: Es gibt ein hochaktuelles Kapitel über die Wirkung von Verschwörungserzählungen, eines zur Gerichtsberichterstattung über rechte Straftaten und eines zum Umgang mit Recherchen der Antifa. Es gibt Informationen darüber, wie Rechtsextreme Soziale Medien nutzen, sowie Tipps für Reaktionen auf Shitstorms und die Moderation von Online-Foren. Nicht alle Erkenntnisse sind neu, der Mehrwert liegt eher in der Zusammenschau. Die Vielzahl der Beiträge hat aber auch einen Nachteil: Statt eines Gesamtwerks aus aufeinander aufbauenden Kapiteln ist eine Aufsatzsammlung mit etlichen Redundanzen entstanden.
Eines macht die Lektüre überdeutlich: Bei der Berichterstattung über die extreme Rechte ist besondere Sorgfalt angezeigt. Dies nicht nur, weil die Akteure die Medien vor ihren Karren zu spannen wissen. Sondern auch, weil die Feindseligkeit der extremen Rechten nicht zuletzt auf die Medien selbst zielt – tätliche Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten inbegriffen. „Aufgrund des Drohpotenzials, der Gewaltbereitschaft und der Unberechenbarkeit der Protagonist*innen unterscheidet sich die Berichterstattung über Rechtsextreme von anderen journalistischen Aufgabengebieten“, schreibt der Politologe Florian Zellner. Wichtig seien deshalb kollegiale Solidarität und der Rückhalt der Redaktionen.

Rechtsextremismus. Band 4: Herausforderungen für den Journalismus
Herausgegeben von Judith Goetz, FIPU und Markus Sulzbacher.
Mandelbaum Verlag, Wien, Berlin 2021

 

Erschienen in djv Blickpunkt 2/2021

© Ulrike Schnellbach – Abdruck nur nach Rücksprache mit der Autorin

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